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Leseprobe

  Das Herz erwecken. Zwölf Schritte zu einem mitfühlenden Leben. Theseus 2006

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6. Schritt

Neid überwinden

„Geteilte Freude ist doppelte Freude“, so heißt es im Sprichwort. Bei genauerem Hinsehen müssen wir allerdings zugeben, dass es nicht immer einfach ist, die Freude anderer zu teilen. Ganz schnell vergleichen wir die Situation der anderen mit der unsrigen und sind dann unzufrieden: Wir möchten auch das Glück haben, das sie erleben. Anstatt uns einfach mit ihnen zu freuen und dadurch an ihrem Glück teilzuhaben, hegen wir einen Groll gegen sie oder gegen das Schicksal und fragen uns: „Warum erlebt der andere dieses Glück und ich nicht?“ „Warum gelingt mir meine Arbeit nicht so gut?“ „Warum werde ich nicht reich und berühmt oder zumindest befördert?“ „Warum finde ich nicht so eine wunderbare Frau oder einen so wunderbaren Mann?“ „Warum gewinne nicht ich den Hauptgewinn in der Lotterie, sondern eben diese andere Person?“

Neid, Missgunst und Eifersucht  verhindern, dass wir uns am Glück anderer erfreuen. Unser Herz wird eng, wir fühlen nicht, was die anderen empfinden, und die Erfahrung von Mitfreude wird unmöglich.

Warum fällt es uns aber so schwer, die Freude anderer zu teilen? Zwei Faktoren kommen hier zusammen. Da ist zum einem das Gefühl des Getrennt-Seins. Wir erleben uns als isolierte Individuen und können deshalb am Glück der anderen nicht teilhaben. Um uns wirklich mit ihnen zu freuen, müsste eine bestimmte Schranke in uns fallen, die Schranke der Verschiedenheit. .....

Zum anderen hegen wir die halb bewusste Ansicht, es gäbe nur eine begrenzte Menge an Glück auf der Welt: „Wenn andere so viel Glück abbekommen, was bleibt davon dann noch für mich übrig?“ Auch diese Haltung kennen wir schon, es ist unser Gefühl des Mangels, das uns auf solche Gedanken bringt. Aber erinnern Sie sich: Freude, Liebe, Mitgefühl, Glück und Weisheit sind im Universum und in jedem Wesen in unendlicher Fülle und in unerschöpflicher Weise vorhanden. Wir brauchen also keine Sorge haben, deshalb kein Glück abzukriegen, weil andere es uns sozusagen vor der Nase weggeschnappen würden.  ....

Selten fällt uns auf, dass all diese leidvollen Emotionen erst dadurch möglich werden, dass wir uns völlig auf uns selbst fixieren. Alles dreht sich um uns: Unsere Gedanken und Gefühle kreisen einzig darum, wie wir uns fühlen, was die anderen uns angetan haben und was wir erleiden müssen. ....

Was müssen wir tun, um solchen Tendenzen entgegenzuwirken? Vor allem müssen wir den Fokus ändern. Anstatt ausschließlich auf uns zu blicken, sollten wir uns auf das Wohlergehen der anderen ausrichten. Wenn sie glücklich sind, sind wir es auch. Wenn sie Kummer haben, spüren wir das wie unseren eigenen und versuchen, entsprechend zu trösten und zu helfen.

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung besteht darin aufzuhören, uns ständig mit anderen zu messen und zu vergleichen, und ganz einfach in das Glück der anderen einzutauchen. Auch sollten wir uns darin üben, Freude zu kultivieren. Wir können hier viel von Menschen lernen, die selbst großes Leid erfahren haben, und die davon berichten, wie sie sich bewusst dafür entschieden haben, sich über die kleinen Dinge des Lebens zu freuen, anstatt völlig zu verhärten und abzustumpfen. Indem wir üben, uns über scheinbar kleine Dinge zu freuen – über ein Lächeln, einen Sonnenstrahl, das tiefe Einatmen von frischer Luft  –, fördern wir in uns eine Haltung der Wertschätzung für das Schöne und Positive. Wir nehmen den Moment bewusster wahr und lernen, dass uns auch Dinge, die uns nicht gehören, Augenblicke des Glücks bringen können.
Von dort ist der Schritt, sich über das Glück anderer zu freuen, vielleicht gar nicht mehr so groß.

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Zum Nachsinnen

Ist es Ihnen in der Vergangenheit immer gelungen, sich mit anderen mitzufreuen?
Wenn es schwierig war, wie hat sich das angefühlt?
Warum war es so schwer?
In welchen Bereichen fällt es Ihnen leicht, sich mit anderen zu freuen?
Wo ist es schwieriger?
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Welche Dinge sind Ihrer Meinung nach im Leben wirklich wichtig? Glück, Liebe, Freude – was noch? Gehören diese Dinge jemandem?

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Erinnern Sie sich daran, dass Sie glücklich sein dürfen: hier und jetzt, so wie Sie im Moment gerade sind. Wer sollte Sie daran hindern?
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Sind Sie oft damit beschäftigt, Ihre eigene Situation mit der von anderen Personen zu vergleichen?
Wenn ja, warum?
Fragen Sie sich, ob das wirklich nötig ist.

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Achten Sie in den nächsten Tagen auf Folgendes

Wenn Sie schöne Dinge sehen, wie einen eleganten Anzug, ein luxuriöses Auto, erlesenes Geschirr, erfreuen Sie sich daran in eben dem Augenblick, in dem Sie es wahrnehmen. Versuchen Sie, Gedanken, wer diese Dinge besitzt oder besitzen könnte, beiseite zu lassen.

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Anregungen zum Handeln

Sagen Sie öfter einmal den Satz: „Das freut mich für dich.“, wenn Ihnen ein Freund oder eine Freundin über eine gelungene Aufgabe, einen gebuchten Urlaub, eine neue Beziehung erzählt. Beginnen Sie mit Situationen, die Ihnen leicht fallen.

Genießen Sie das, was Sie haben, in vollen Zügen: Ihr Mittagessen, einen sonnigen Nachmittag, schöne Musik und verbinden Sie es mit dem Wunsch, dass alle Wesen solche Freuden erleben mögen.

Wünsche und Vorsätze

Mit folgenden Wünschen können Sie dem Neid entgegen steuern:

Möge es mir gelingen, mich am Glück anderer zu erfreuen.
Möge ich Neid überwinden.
Mögen alle Wesen glücklich sein.

Finden Sie wieder Ihre eigenen Formulierungen für einen Wunsch und notieren Sie ihn in Ihr Wunschbuch. Fassen Sie auch einen konkreten Vorsatz:

Ich nehme mir vor, (einer bestimmten Person) .............................. sein /  ihr Glück zu gönnen.